Wiederaufleben des Ehegattenerbrechts wegen Nicht-Betreiben des Scheidungsverfahrens

§ 1933 S. 1 BGB schließt das gesetzliche Ehegattenerbrecht aus, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Die Gleichstellung mit den Rechtsfolgen einer rechtskräftigen Auflösung der Ehe beruht auf der Überlegung, dass die Beteiligung des überlebenden Ehegatten am Nachlass nach Rechtshängigkeit eines auf Beendigung der Ehe gerichteten gerichtlichen Verfahrens nicht mehr von dem Zufall abhängen soll, ob der Erblasser die Rechtskraft eines eheauflösenden Urteils noch erlebt. Deshalb wird davon ausgegangen, dass es dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht, den Ausschluss des gesetzlichen Erbrechts des Ehegatten schon an die auf Ehescheidung gerichteten Prozesshandlungen des Erblassers zu knüpfen.

Das Nicht-Betreiben eines anhängig gemachten Scheidungsverfahrens über einen längeren Zeitraum ist als Rücknahme des Scheidungsantrags zu behandeln, mit der Folge, dass die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Ehegattenerbrechts nicht mehr vorliegen.

Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ist das Nichtbetreiben des Scheidungsverfahrens über einen Zeitraum von fast 10 Jahren als Rücknahme des Scheidungsantrags zu werten. Dabei ist es unerheblich, weshalb der Erblasser so gehandelt hat und ob er fälschlicherweise davon ausgegangen ist, dass seine Frau schon wegen des einmal eingeleiteten Verfahrens nicht mehr erbberechtigt sein könne. Auch kommt es nicht darauf an, ob die Eheleute sich später wieder angenähert oder miteinander versöhnt haben, weil dies die materiellen Voraussetzungen für eine Scheidung betrifft und hier bereits von einer Rücknahme des Scheidungsantrags auszugehen ist.

OLG Hamm, Beschluss v. 22.1.2021, 10 W 33/20